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15. September 2021 | Fachzeitschriften

Zur Haftung bei Nichtaufdeckung betrügerischer Handlungen

Wirtschaftsprüfer stehen immer wieder am Pranger, wenn das betrügerische Handeln von Unternehmen offenbar wird und diese – nicht selten mit „großem Getöse“ – in sich zusammenbrechen. „Es stehe fest, dass der Abschlussprüfer versagt habe“, „es war doch gerade Aufgabe des Wirtschaftsprüfers, dieses Handeln aufzudecken“, ist dann regelmäßig die Ansicht der Anspruchsteller und der Öffentlichkeit. Soviel zu der oft beschriebenen Erwartungslücke. Diese führt sodann regelmäßig dazu, dass geprellte Darlehensgeber, Aktionäre und auch der Insolvenzverwalter versuchen, den Wirtschaftsprüfer haftbar zu machen. Dass sich bei der anschließenden Prozessführung dann wiederum eine Diskrepanz zwischen dem vom Anspruchsteller erhofften Prozessverlauf und dem Urteilstenor auftun kann, zeigt ein jüngst ergangenes Urteil des OLG Düsseldorf vom 18. Juni 2021 – I-22 U 31/20 (n. rkr.).

Die beklagte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hatte eine GmbH, die Tochtergesellschaft einer börsennotierten AG, geprüft. Diese fiel in die Insolvenz, nachdem herauskam, dass sie in vielfältiger Weise die Bilanzen manipuliert und unter der Hand ein Konsignationslager abverkauft hatte. Der klagende Insolvenzverwalter behauptete, dass bei früherer Aufdeckung der Manipulation durch die WPG zum 30. Juni 2012 und nicht erst am 14. März 2013 ein Insolvenzantrag gestellt worden wäre. Von dem so entstandenen Fortführungsschaden in Höhe von 160 Mio. Euro machte er unter Berücksichtigung eines 50%igen Mitverschuldens der fraudulenten Geschäftsführung einen Schadenersatzanspruch von über 80 Mio. Euro geltend.

Nachdem bereits das LG Düsseldorf – 39 O 37/17 die Klage abgewiesen hatte, war auch die Berufung des Insolvenzverwalters erfolglos. Das OLG Düsseldorf hat die Klageabweisung auf eine breite Grundlage gestellt:

Darlegungs- und Beweislast

Das OLG stellt fest, dass die Frage, welche Anforderungen an die Prüfung des Abschlussprüfers zu stellen sind, als Rechtsfrage zu identifizieren ist. Damit ist diese einer Beweiserhebung nicht zugänglich und selbst vom Gericht zu entscheiden.

Es sei Aufgabe des Klägers, die Pflichtverletzung darzulegen und zu beweisen. Eine Abschlussprüfung könne auch fehlerfrei sein, wenn sie Fehler des Jahresabschlusses nicht aufdeckt, etwa weil Manipulationen mit großem Geschick vorgenommen worden sind. Der Kläger könne seiner Beweislast nicht dadurch genügen, indem er die IDW-PS vorlegt und die Frage in den Raum stellt, ob der Prüfer diesen Anforderungen genügt habe.

IDW-Standard nicht automatisch Mindeststandard

Das OLG sieht eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nicht schon dadurch als gegeben an, dass von einer Verlautbarung des IDW abgewichen worden ist. Die IDW-Prüfungsstandards seien nicht automatisch Mindeststandard für eine sorgfältige Prüfung. Der Prüfer müsse daher die IDW-PS nicht im Sinne einer To-do-Liste abarbeiten. Dies würde seiner Eigenverantwortlichkeit als Abschlussprüfer nicht gerecht werden. Der Wirtschaftsprüfer könne nicht garantieren, dass der geprüfte Jahresabschluss zutreffend ist. Der geschuldete Erfolg liege nämlich nur in der Erteilung eines hinreichend abgesicherten Bestätigungsvermerks, nicht in der Erteilung eines „richtigen“ Bestätigungsvermerks. Insgesamt erteilt das Gericht dem Vorwurf einer Pflichtverletzung unter Würdigung der klägerischen Behauptungen eine Absage.

Kausalität

Der Kläger hat nach Ansicht des Gerichts auch nicht nachgewiesen, dass die aus seiner Sicht gebotenen Prüfungshandlungen zu einer Verweigerung oder zu einer Einschränkung des Bestätigungsvermerks geführt hätten. In diesem Zusammenhang helfe kein Anscheinsbeweis. Ein Anscheinsbeweis setze einen typischen Geschehensverlauf voraus. Daran fehle es, da es gerade nicht typisch sei, dass ein doloser Geschäftsführer unmittelbar einen Insolvenzantrag stellt. Vielmehr sei davon auszugehen, dass er als Reaktion auf weitere Prüfungshandlungen versucht, das Aufdecken des Betrugs zu verzögern oder durch weitere Täuschungshandlungen zu unterbinden.

Schadenshöhe

Das OLG kann die Höhe des behaupteten Schadensersatzanspruchs auch nicht nachvollziehen. Der Insolvenzverwalter hatte zur Schadensberechnung auf einen von der Insolvenzschuldnerin aufgestellten Zwischenabschluss abgestellt. Dieses Vorgehen ist für das OLG nicht ausreichend, da der Kläger ja selbst geltend machte, dass die Bilanzen gefälscht sind. Dann könne angesichts der erheblichen Manipulationen der Zwischenabschluss nicht ohne Weiteres Ausgangspunkt der Schadensberechnung sein. Zudem seien Verbindlichkeiten nicht anerkennungswürdig, die von dem betrügerischen Geschäftsführer mit einem anderen Unternehmen in betrügerischer Absicht eingegangen worden sind, deren Vorstand er ebenfalls war.

Verschulden

Der Vorstellung des Klägers, dass aufgrund der vorgetragenen Pflichtverletzungen von Vorsatz auszugehen ist, erteilt das OLG eine Absage. Vorsatz müsse der Anspruchsteller beweisen. Für einen Vorsatzvorwurf reiche nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte erkennen können oder erkennen müssen. In einer solchen Situation sei lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt. Für den Wirtschaftsprüfer stehe zu viel auf dem Spiel. Neben dem Haftungsrisiko und Reputationsverlust drohe zudem die Strafbarkeit nach § 332 HGB. Zudem führe der Kläger eine Vielzahl der Prüfungsfehler auf eine fehlerhafte Prüfungsplanung zurück. Dieses spreche aber für eine fehlerhafte Risikoeinschätzung, die von zahlreichen Wertungen abhängig ist, die das prüferische Ermessen erfordern. Dann fehle es aber erst recht am Vorsatz, wenn der Prüfer von einer vertretbaren Prüfung ausgeht. Fehle es am Vorsatz, sei die Haftung gemäß § 323 HGB für die fahrlässige Pflichtverletzung auf 1 Mio. Euro für eine Prüfung beschränkt. Dann könne statt der geltend gemachten über 80 Mio. Euro lediglich ein Betrag in Höhe von maximal 2 Mio. Euro für die zwei von der WPG erbrachten Prüfungen in Betracht kommen.

Der Senat teilt auch die Auffassung des LG, dass aufgrund des schweren Verschuldens der Insolvenzschuldnerin ein etwaiges Mitverschulden des Prüfers vollständig hinter die Vorsatztat der Geschäftsführung zurücktreten muss.

Im Hinblick auf die Bedeutung der Abschlussprüfung trete zwar ein vorsätzliches Irreführen des Wirtschaftsprüfers nicht automatisch zu einem Haftungsausschluss. Insgesamt müssten daher die Verursachungsbeiträge gewichtet werden. Das Handeln des Geschäftsführers müsse sich die Schuldnerin zurechnen lassen. Es erscheine im Ausgangspunkt treuwidrig, wenn die Schuldnerin Ersatz für einen Schaden verlangt, den sie selbst verursacht hat. Der Geschäftsführer hatte im Zusammenwirken mit der Buchhalterin und einer externen Berufsträgerin die Buchhaltung manipuliert, Belege aus der Buchhaltung, Rechnungen und Lieferscheine gefälscht. Zudem waren mit einer Vielzahl von Personen Lagerbestände manipuliert und mit dem Personal der IT mehr als hunderttausend Buchungsvorgänge „dupliziert“ worden.

Diese gravierenden betrügerischen Handlungen veranlassten in diesem Fall das LG und das OLG ein etwaiges fahrlässiges Verschulden des Beklagten vollständig zurücktreten zu lassen.

Resümee im Hinblick auf das FISG

Das Urteil ist freilich zur alten Rechtslage vor dem Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) ergangen. Damit prüfte das Gericht den Sachverhalt anhand von vergleichbar milden Haftungsregelungen. Gleichwohl weckt das Urteil Hoffnung, dass auch künftige Fälle vergleichbarer Sachverhaltskonstellationen gut abgewehrt werden können.

Das Gericht betont in begrüßenswerter Deutlichkeit die Bedeutung der Eigenverantwortlichkeit des Wirtschaftsprüfers. Wer in Ausübung seines prüferischen Ermessens von den als Leitfäden unerlässlichen IDW-Standards abweicht, handelt nicht vorsätzlich.

Die Darlegungs- und Beweislast liegt auch künftig beim Kläger. Auch im Haftpflichtprozess ist weiterhin für eine erfolgreiche Verteidigung die saubere Dokumentation der Prüfungshandlungen unerlässlich, damit der sekundären Darlegungslast genügt werden kann. Unter dem Geltungsbereich des FISG kann trotz enorm gestiegenen Haftungshöchstgrenzen die Vorsatztat des Vorstands der geprüften Gesellschaft im Einzelfall zum vollständigen Haftungsausschluss führen.

Michael Thoma
Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt)/Justitiar, VSW – Die Versicherergemeinschaft für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer

Quelle:
WPK Magazin 3/2021