Rechtsprechung
Urteil OLG Köln vom 26.03.2015: Umfang der Rechtsprüfung bei offener Steuerfrage
Beim vollständigen Fehlen verfügbarer Rechtsprechung und Literatur zu einer konkreten Steuerfrage hat der Berater die Rechtsprüfung in eigener Kompetenz nach Maßgabe der aktuellen Gesetzeslage und unter Berücksichtigung der juristischen Methodenlehre eigenständig vorzunehmen und bei lebensnaher wirtschaftlicher Betrachtungsweise hin auf ihre Plausibilität zu überprüfen (OLG Köln, Urteil vom 26.3.2015 – 8 U 27/07).
Hintergrund: Das Steuerberatungsmandat ist auf Vertretung der Interessen des Mandanten gerichtet und daher so zu erledigen, dass im Rahmen des gesetzlich Zulässigen unter Ausnutzung der im Gesetz gegebenen Möglichkeiten höhere als nach dem Gesetz notwendige Steuern vermieden werden (Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 5. Aufl. 2014 Rn. 140). Zu agieren ist dabei nach dem sog. Gebot des sicheren Wegs (Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 5. Aufl. 2014 Rn. 229 ff. m. w. N.).
Hierzu führte das Gericht weiter aus:
- Liegt – wie im Streitfall – im Beratungszeitpunkt keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor, hat der Berater zunächst Kommentierungen und untergerichtliche Rechtsprechung zurate zu ziehen und sich daran zu orientieren, zumindest bei bedeutsamen Steuerfragen die Verwaltungsübung der zuständigen Finanzbehörden zu ermitteln und auf Grundlage der erarbeiteten Rechtserkenntnis zu dem sicheren Weg zu raten (Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 5. Aufl. 2014 Rn. 230).
- Dabei sind anerkanntermaßen keine übermäßigen Anforderungen zu stellen. Die inhaltliche Tiefe der gebotenen Rechtsprüfung und Beratung hat sich am Auftragsinhalt und an der Bedeutung der Sache zu orientieren (Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 5. Aufl. 2014 Rn. 230 a. E.).
- So sind insbesondere nicht zur Standardausstattung gehörende Fachzeitschriften ebenso wenig umfassend auszuwerten wie nicht in der DStR veröffentlichte Instanzgerichtsurteile oder gar mehrere Kommentare zu einem Rechtsgebiet bei erfolgter Hinzuziehung zumindest eines Standardkommentars (Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 5. Aufl. 2014 Rn. 238, 241, 244).
- Gerade das vollständige Fehlen verfügbarer Rechtsprechung und Literatur zu der konkreten Steuerfrage nötigt einen Steuerberater nach Auffassung des Senats aber erst recht zur ganz eigenständigen Prüfung streng anhand der Grundsätze juristischer Methodenlehre und streng anhand einer lebensnahen wirtschaftlichen Betrachtungsweise.
Hinweis: Nach Ansicht des Oberlandesgerichtes hatte der beklagte Steuerberater im Streitfall objektiv seine Pflichten aus dem Mandantsverhältnis verletzt, als er bei Erstellung der Einkommenssteuererklärungen die streitgegenständlichen Einkünfte kommentarlos in der Anlage SO als andere wiederkehrende Bezüge/Unterhaltsleistungen deklariert hat bzw. nach den entsprechenden Einkommenssteuerbescheiden die Klägerin nicht über die gegebene Angreifbarkeit der Rechtsauffassung des Finanzamts aufgeklärt hat. Im Streitfall hätte dem Berater, der neben den Einkommensteuererklärungen 2001 bis 2003 auch die Erbschaftsteuererklärung für die Klägerin fertigte, bereits die damit verbundene faktische Doppelbesteuerung der von der Stiftung bezogenen „Rentenzahlungen” – so der Senat – „ins Auge springen müssen“ und die Überprüfung der von ihm vorgenommenen fehlerhaften Subsumption der Rentenzahlungen als (voll) steuerpflichtig nahegelegt, was umso mehr gelte, als deren tatsächlich nur beschränkte Steuerpflicht bereits lange vom BFH für Leibrenten, die vermächtnisweise durch letztwillige Verfügungen zugewendet werden, geklärt worden sei (vgl. BFH, Urteil vom 1.8.1975 – VI R 168/73, NWB DokID: XAAAA-91095). Den Text der o. g. Entscheidung finden Sie in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW.
Quelle: NWB Nachrichten