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Umsatzsteuerbefreiung für Pflegeleistungen
Das sogenannte Zimmermann-Urteil beschäftigt sich mit der Umsatzsteuerbefreiung für berufliche Tätigkeiten im Bereich der ambulanten Pflege. Die Entscheidung des EuGH vom 15.11.2012 (AZ: C-174/11; BB 2012, 2977, red. Leitsatz; DStRE 2013, 423-429; Juris) betrifft einen lange zurückliegenden Sachverhalt ab dem Jahr 1993. Das Urteil erging zu den §§ 4 Nr. 16 e, 4 Nr. 18 UStG. Im Ergebnis ist die Klägerin demnach von der Umsatzsteuer für Umsätze aus der ambulanten Pflege Kranker und pflegebedürftiger Personen befreit.
Haftpflichtrechtlich kann sich z. B. aufgrund ggf. inzwischen eingetretener Bestandskraft für andere Steuerpflichtige aus diesem Bereich die Frage ergeben, ob und wann Berufsträger ihre Mandanten auf das Verfahren hätten hinweisen können oder müssen.
Die Kardinalfrage lautet daraus folgend in solchen Fällen oft, ob und wann Maßnahmen durch Berufsträger hätten ergriffen werden müssen, um Bescheide „offen zu halten“.
KLAGE UND REVISION FINANZAMT
Frau Zimmermann war eine examinierte Krankenschwester und arbeitete 1992 als angestellte Pflegekraft in einer Sozialstation. Daneben betreute sie ab 1993 einzelne Patienten selbstständig und meldete Mitte 1993 einen ambulanten Pflegedienst an. Noch in 1993 wurde sie für die Leistungen der häuslichen Krankenpflege von den Krankenkassen zugelassen. In ihren Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1993 und 1994 wurden die erzielten Umsätze als umsatzsteuerfrei aufgeführt. Im Jahr 1999 stellte das Finanzamt fest, dass von den behandelten Personen 68 % Privatzahler waren, sodass das Finanzamt in 1999 die Umsatzsteuerfreiheit für die in 1993 erbrachten Leistungen versagte. Nach erfolglosem Einspruch
erhob Frau Zimmermann im Jahr 2001 beim FG Berlin Klage (AZ: 2 K 5218/01; EFG 2007, 624 ff.; Juris). Das Urteil wurde am 16.8.2006 verkündet und erging überwiegend zugunsten von Frau Zimmermann. Dabei subsumierte das FG den steuerlichen Sachverhalt zum Teil unter eine andere Vorschrift des Umsatzsteuergesetzes als das Finanzamt. Hiergegen legte das Finanzamt Revision zum BFH ein.
HAFTPFLICHTRECHTLICH IRRELEVANT
Bis einschließlich der Einlegung der Revision ist das Verfahren haftpflichtrechtlich nicht relevant. Der Bescheid des Finanzamtes erging nach der bisherigen Praxis der Finanzverwaltung. Auch die Klageerhebung vor dem FG und die Revision durch das Finanzamt lösen in diesem Fall keine Hinweispflicht anderer Berufsträger an ihre Mandanten oder sonstige Verpflichtungen aus, in ähnlich gelagerten Fällen tätig zu werden. Das FG subsumiert den Sachverhalt anders als die Finanzverwaltung und kommt so zu dem Ergebnis der Befreiung von der Umsatz-steuer. Die Subsumption eines steuerlichen Sachverhaltes unter eine andere gesetzliche Norm als die, die das Finanzamt zugrunde gelegt hat, stellt noch nichts Besonderes dar. Daher ist auch die Revision des Finanzamtes nicht alarmierend.
EUGH
Der Senat des BFH setzte mit Beschluss vom 2.3.2011 das Revisionsverfahren aus und legte dem EuGH zwei umsatzsteuerliche Fragen zur Entscheidung vor.
Der EuGH beantwortete diese mit Urteil vom 15.11.2012 (AZ: C-174/11). Unter Berücksichtigung dieser Antworten sprach der BFH am 19.3.2013 das abschließende Urteil in der Sache (AZ: XI R 47/07; DStR 2013, 1078 ff.). Die Klägerin ist demnach von der Umsatzsteuer für Umsätze aus der Einrichtung zur 7 ambulanten Pflege Kranker und pflegebedürftiger Personen befreit, weil hier – vereinfacht ausgedrückt – die Regelungen der Befreiungsmöglichkeiten nach deutschem Recht nicht den europäischen Vorgaben entsprachen.
VORLAGEBESCHLUSS AN EUGH
Mit dem Vorlageschluss an den EuGH, der Entscheidung des EuGH und dem abschließenden Urteil des BFH wird das Verfahren interessant. Anspruchsteller behaupten teilweise, dass die Veröffentlichung des Beschlusses des BFH vom 2.3.2011 bezüglich der Vorabentscheidung durch den EuGH, und spätestens die Veröffentlichung des Urteils des EuGH, haftpflichtrechtlich relevant waren. Es wird in solchen Fällen der Vorwurf erhoben, der Berater hätte nach Veröffentlichung des Vorlagebeschlusses bzw. der Entscheidung des EuGH seinen Bestand auf Relevanz überprüfen und entweder selbstständig Maßnahmen ergreifen oder seinen Mandanten unterrichten müssen, um mit diesem die weitere Vorgehensweise abzustimmen. Im Extremfall kann es in solchen Fällen auf den genauen Tag der Veröffentlichung ankommen.
PFLICHTLEKTÜRE
Dazu hätte der Vorlagebeschluss vom 2.3.2011 bzw. das Urteil des EuGH vom 15.11.2012 (AZ: C-174/11) in einer zur Pflichtlektüre eines steuerlichen Beraters gehörenden Zeitschrift veröffentlicht worden sein müssen, damit der Berater davon überhaupt nach einer angemessenen Karenzzeit Kenntnis hätte erlangen müssen. Ob und wann eine entsprechende Veröffentlichung erfolgte, muss der Anspruchsteller darlegen und beweisen. Zur Pflichtlektüre gehören sicherlich die Zeitschrift „Deutsches Steuerrecht“ und das „Bundessteuerblatt“. Aufgrund der zahlreichen Zeitschriften oder sonstigen Möglichkeiten zur Veröffentlichung wäre es jedenfalls praxisfern zu verlangen, dass die bloße Veröffentlichung in irgendeiner Zeitschrift, die vielleicht nur für einen ganz eng einzugrenzenden Kreis relevant und von Interesse ist, schon als entscheidend anzusehen wäre. Allerdings wird auch zu berücksichtigen sein, dass der Kanon der Pflichtlektüre nicht als fest angesehen werden kann, sondern durchaus auch dem Wandel unterliegt.
Wann im Einzelfall die Verpflichtung bestanden hätte, ist in der Praxis oftmals nur sehr schwer feststellbar. Der Sachverhalt darf nicht rückschauend mit dem Wissen von heute untersucht werden, sondern muss aus der damaligen Sicht beurteilt werden. Hellseherische Fähigkeiten können aber von keinem Berater verlangt werden. Deshalb ist ein Anspruchsteller im Einzelnen gehalten, darzulegen und auch zu beweisen, wann und inwieweit dem Berater ein Fehler, sei es Tun oder Unterlassen, unterlaufen ist und welcher Schaden dadurch bedingt ist.