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Steuerschätzung=Steuerschaden?
Finanzbehörden sind zur Steuerschätzung berechtigt, wenn vom Steuerpflichtigen keine oder fehlerhafte Auskünfte zu den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen erteilt werden und eigene Ermittlungen des steuerlich relevanten Sachverhalts durch das Finanzamt zu keinem verwertbaren Ergebnis führen.
In der Steuerberatungspraxis stellen sich im Zusammenhang mit der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO häufig Fragen bezüglich der Vermeidung von möglichen Haftungsrisiken. Diesem Thema widmet sich der folgende Beitrag.
Erfahrungsgemäß neigen Mandanten nach Erhalt eines Schätzungssteuerbescheids nicht selten dazu, die festgesetzten Steuern als Steuerschaden anzusehen und konfrontieren den steuerlichen Berater mit Regressforderungen.
HINZUSCHÄTZUNG DURCH DAS FINANZAMT
Dabei sollte beachtet werden, dass das Finanzamt mit der Steuerschätzung das Ziel verfolgt, die Besteuerungsgrundlagen annähernd zutreffend zu ermitteln und nicht die unterbliebenen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen durch die Festsetzung von Mehrsteuern zu sanktionieren, um diesen zur Abgabe von Steuererklärungen anzuhalten (vgl. BFH, Urteil vom 20.12.2000, AZ: 1 R 50/00; BB 2001, 1020, 1022).
Eine steuerliche Mehrbelastung aufgrund von Hinzuschätzungen durch das Finanzamt kann also nur dann einen Schaden im zivilrechtlichen Sinn darstellen, wenn die tatsächlichen Einkünfte oder Betriebseinnahmen niedriger sind, als diejenigen, die Grundlage eines Schätzungssteuerbescheids sind.
Die Finanzämter versuchen häufig im Rahmen der Schlussbesprechung einer Betriebsprüfung, eine tatsächliche Verständigung über die Höhe der geschätzten Besteuerungsgrundlagen zu erzielen. Sofern der Mandant dazu seine Zustimmung erteilt, können später keine Regressansprüche gegen den Steuerberater geltend gemacht werden.
In diesem Fall kann dem Mandanten entgegengehalten werden, dass dieser im Rahmen der Schadensminderungspflicht gehalten gewesen wäre, z. B. durch Vorlage der Buchhaltungsbelege, den Nachweis zu führen, dass die tatsächlichen Einnahmen niedriger waren und dies ggf. auch in einem Einspruchsverfahren oder finanzgerichtlichen Verfahren zu klären.
Problematisch wird dies in den Fällen, in denen der Mandant aufgrund des Fehlens von Buchhaltungsbelegen nicht dazu in der Lage ist und dem Berater vorwirft, dafür verantwortlich zu sein, dass keine für den Mandanten vorteilhafte korrigierte Gewinnermittlung vorgelegt werden kann.
Nach der Rechtsprechung schuldet der Steuerberater aber nicht die Erstellung einer Buchhaltung, die in jeder Hinsicht vom Finanzamt übernommen wird.
Für die Einhaltung der Grundaufzeichnungspflichten über Bareinnahmen, Ausgaben, etc. und die Aufbewahrung der entsprechenden Belege, wie z. B. eines Kassenbuchs, trägt allein der Mandant die Verantwortung (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.10.1984, AZ: 18 U 124/84; DStR 1985, 281 f.). Dies folgt für bilanzierungspflichtige kaufmännische Betriebe unmittelbar aus den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (§§ 238, 243 HGB) und ordnungsgemäßer Aufbewahrung von Unterlagen (§ 257 HGB).
Für Gewerbetreibende, die zur Gewinnermittlung eine Einnahmeüberschussrechnung erstellen, kann nichts anderes gelten, da die Aufzeichnung der täglichen Geschäftsvorfälle nicht auf den Steuerberater übertragen werden kann, der in der Regel auf Grundlage der vom Mandanten vorgelegten Belege nur die Buchhaltung aufarbeitet und den Jahresabschluss erstellt.
VERMEIDUNG VON HAFTUNGSRISIKEN
Auch wenn dies für die tägliche Beratungspraxis als aufwendig erscheinen mag, empfehlen wir zur Vermeidung von Haftungsrisiken, insbesondere nichtkaufmännische Gewerbebetriebe über die Einhaltung der Grundaufzeichnungspflichten regelmäßig entweder schriftlich zu belehren oder mündliche Beratungen zumindest intern durch Aktenvermerke zu dokumentieren. Dies kann z. B. zu Beginn eines Mandatsverhältnisses erfolgen oder bei der Jahresabschlussbesprechung. Vor der Vereinbarung einer tatsächlichen Verständigung mit dem Finanzamt sollte der Mandant umfassend über die Möglichkeit des Nachweises von Mindereinnahmen belehrt werden. Auch in diesem Fall empfehlen wir, Beratungen schriftlich festzuhalten.
Bei Restunsicherheiten sollte in Erwägung gezogen werden, dem Mandanten zu raten, gegen von ihm als nachteilig empfundene Schätzungssteuerbescheide im Einspruchsoder Finanzgerichtsverfahren vorzugehen. Eine steuerliche Mehrbelastung aufgrund einer finanzgerichtlich überprüften und für rechtmäßig befundenen Hinzuschätzung nach § 162 AO kann zivilrechtlich nicht als ersatzfähiger Schaden angesehen werden. Ist die Hinzuschätzung jedoch unberechtigt, so wäre sie durch das Finanzgericht aufzuheben (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 29.1.2010, 3040189/09).
HINZUSCHÄTZUNG DURCH DEN BERUFSTRÄGER
Vorsicht ist ebenfalls geboten, wenn durch den Steuerberater gegenüber dem Finanzamt Zuschätzungen für Mandanten vorgenommen werden, um für diesen mögliche steuerstrafrechtliche Nachteile abzuwenden. Der Steuerberater muss die Wahrscheinlichkeit des Nachweises von Mehrerlösen prüfen, ehe er Zuschätzungen vornimmt und den Mandanten umfassend belehren. Im Absehen von einer Zuschätzung liegt jedenfalls solange keine Empfehlung zu einer Steuerhinterziehung, wie Mehreinnahmen eher unwahrscheinlich sind (BGH, Urteilvom 20.6.1991, IX ZR 226/90; Juris).