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Neue Dimension der Dritthaftung?
Der BGH hat jüngst die Dritthaftung der Wirtschaftsprüfer verschärft. Im Rahmen einer Kapital-erhöhung einer AG hatte ein Wirtschaftsprüfer eine Gewinnprognose als ordnungsgemäß bestätigt. Entsprechend der hier eingreifenden gesetzlichen Verpflichtung war auch der Prüfbericht über die Gewinnprognose in dem Verkaufsprospekt veröffentlicht worden. Die Prognose erwies sich als fehlerhaft. Der BGH erkannte die Haftung des Wirtschaftsprüfers nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gegenüber einem Kapitalanleger an.
SACHVERHALT UND PROZESSGESCHICHTE
Mit Urteil vom 24.4.2014 (AZ: III ZR 156/13; NJW 2014, 2345 ff.; Juris) hat der BGH die Revision der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zurückgewiesen. Damit ist das Urteil, in dem die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt wurde, rechtskräftig geworden. Der Sachverhalt ist uns nur aus dem veröffentlichten BGH-Urteil bekannt. Demzufolge hatte die Ehefrau eines Kapitalanlegers aus abgetretenem Recht geklagt. Der Anleger hatte an einer Kapitalerhöhung einer AG teilgenommen. Zu der Ausgabe von Aktien wurde im Jahr 2007 ein Verkaufsprospekt aufgelegt. Dieser enthielt Planrechnungen für die Jahre 2007 bis 2011 mit Gewinnprognosen. Die AG hatte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beauftragt, die Gewinnprognosen gemäß der EG-Verordnung Nr. 809/2004 (Prospektverordnung) in Verbindung mit dem Wertpapierprospektgesetz (WpPG) zu prüfen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bestätigte die Prognosen als ordnungsgemäß. Ihr Prüfbericht wurde im Prospekt veröffentlicht. Zu einer Eintragung der Kapitalerhöhung kam es nicht. Der Anleger hat die Aktien bezahlt, aber nicht erhalten. Die AG wurde insolvent.
Das OLG, das die Berufung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zurückgewiesen hatte, nahm eine Pflichtverletzung aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter an, da deren Testat grob falsch gewesen sei. Die Prognose der Dividendenausschüttung sei mit § 269 Satz 2 HGB a. F. unvereinbar. Die Anlageentscheidung habe auch auf dieser Pflichtverletzung beruht. Der Schaden läge bereits im Erwerb der Anlage. Der BGH hat das Urteil bestätigt.
Abgrenzung zur Pflichtprüfung
Der Senat grenzt den Sachverhalt von demjenigen ab, der im Urteil des BGH vom 6.4.2006 (AZ: III ZR 256/04; DStR 2006, 1464 ff; Juris) entschieden wurde. Dort wurde der Bestätigungsvermerk eines Abschlussprüfers über eine Pflichtprüfung in einen Verkaufsprospekt aufgenommen. In einem solchen Fall sieht sich der BGH an die gesetzgeberische Wertentscheidung gebunden, dass nämlich nach § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB die Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers auf Ansprüche der Kapitalgesellschaft und verbundener Unternehmen – zudem nach § 323 Abs. 2 HGB der Höhe nach – beschränkt ist. Im Urteil vom 6.4.2006 (dort Rn. 13) sieht der BGH zwar weiterhin eine grundsätzliche Anwendbarkeit der Grundsätze über die vertragliche Dritthaftung im Bereich von Pflichtprüfungen. Er betont jedoch nochmals die daran zu stellenden strengen Anforderungen. Die Einbeziehung einer unbekannten Vielzahl von Gläubigern, Gesellschaftern oder Anteilserwerbern in den Schutzbereich des Prüfauftrags würde der gesetzgeberischen Intention zuwiderlaufen.
FREIWILLIGE AUFNAHME VON GEWINNERWARTUNGEN IN VERKAUFSPROSPEKT
Mit dem Fall einer Pflichtprüfung nicht vergleichbar sieht der BGH die Frage der Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des im vorliegenden Fall zwischen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und der AG geschlossenen Vertrages. Die Aufnahme der Gewinnerwartungen in den Verkaufsprospekt sei gesetzlich nicht vorgeschrieben, sondern eine freiwillige Entscheidung des Emittenten. Nach Art. 3 und Anhang I Nr. 13.2 der Prospektverordnung und § 7 WpPG musste im Falle einer Aufnahme von Gewinnprognosen in den Prospekt auch ein Bericht des Prüfers aufgenommen werden. Diese Vorschriften setzten die sogenannte Prospektrichtlinie um, deren Kernanliegen der effektive Schutz der Anleger sei. Insofern sei die beabsichtigte Weitergabe des Testats an Dritte Grundlage des Auftrags der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gewesen. Deren Tätigkeit sei im Interesse der Anleger erfolgt, die in den Schutzbereich des Auftrags einbezogen gewesen seien.
Der Schaden des Anlegers liegt nach Auffassung des Gerichts bereits im Erwerb der Anlage. Die Veröffentlichung des Testats im Prospekt stellte einen zentralen Baustein für die Anlageentscheidung dar. Daher könne die Haftung nicht auf etwaige Schäden aus einer geringeren oder unterbliebenen Gewinnerwartung beschränkt werden, wenn sich feststellen lasse, dass das Testat des Wirtschaftsprüfers für die Anlageentscheidung des Kunden kausal gewesen sei.
KEIN HAFTUNGSAUSSCHLUSS ÜBER AAB
Die Verschärfung der Rechtsprechung des BGH wird in der Beurteilung der von der Wirtschafts-prüfungsgesellschaft verwendeten berufsüblichen Allgemeinen Auftragsbedingungen (AAB) deutlich. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hatte sich auf Nr. 7 AAB berufen, wonach die Weitergabe der beruflichen Äußerungen an einen Dritten der schriftlichen Zustimmung des Wirtschaftsprüfers bedarf und eine – nach Nr. 9 AAB beschränkte – Haftung gegenüber Dritten auch nur unter diesen Voraussetzungen gelte. Dies kann nach Ansicht des BGH nicht in einem Fall wie dem vorliegenden gelten, wenn sich der Prüfer gerade vertraglich verpflichtet, eine zur Veröffentlichung in einem Prospekt bestimmte Bewertung zugunsten künftiger Anleger abzugeben. Die brisante Schlussfolgerung des BGH lautet:
„Insoweit ist von einer individuellen Einbeziehung der Anleger in den Vertrag auszugehen, die die allgemeinen Regelungen in den AAB verdrängt.“
Rechtsanwalt Dr. Aurich aus der Sozietät Wirsing Hass Zoller nimmt hierzu folgendermaßen Stellung: „Obwohl der Einbezug Dritter in den Schutzbereich vom Willen der Vertragsparteien abhängt und dementsprechend, ggf. im Wege ergänzender Vertragsauslegung, zu ermitteln ist, erscheint zumindest bei gesetzlich vorgeschriebener Wiedergabe des Prüfungsergebnisses im Prospekt eine wirksame Haftungsbeschränkung gegenüber den durch einen Prospekt angesprochenen Anlageinteressenten kaum noch möglich.“ (DB 2014, 1541 f.)
EINZELRISIKODECKUNG
Diese Problematik scheint der BGH für hinnehmbar zu halten. Er bezieht sich auf das vom OLG vorgetragene Argument, das Gesamtrisiko sei durch die zu zeichnende Gesamtsumme begrenzt und gegebenenfalls versicherbar. Der Kreis der vom Prüfauftrag umfassten Personen sei auch nicht uferlos ausgeweitet. Leider hat die Revision diese Feststellung nicht mit Substanz angegriffen (Urteil BGH vom 24.04.2014, Rn. 20). Denn aus Sicht des Versicherers stellt sich durchaus die Frage, ob tatsächlich eine solche Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers stets versicherbar ist. Kapitalerhöhungen können eine ganz erhebliche Dimension erreichen, die die übliche Versicherungssumme des Wirtschaftsprüfers in der Regel übersteigen und ggf. auch die Kapazität des Versicherungsmarktes auf den Prüfstand stellen kann. Zu beachten ist dabei, dass in dem vorliegenden Fall nur ein einziger Verstoß vorliegt. In jedem einzelnen Versicherungsfall stellt die Versicherungssumme den Höchstbetrag der dem Versicherer – abgesehen vom Kostenpunkte – obliegenden Leistung dar. Dies gilt bezüglich sämtlicher Folgen eines Verstoßes, also auch, wenn mehrere Anleger aus dem Verstoß einen Vermögensschaden erleiden.
Es besteht insoweit kein Unterschied, ob eine Kapitalerhöhung von z. B. 100 Mio. Euro von einem einzigen Großinvestor gezeichnet wird oder aber von 100 Investoren. Bei der aktuellen Mindestversicherungssumme für Wirtschaftsprüfer von derzeit 1 Mio. Euro bei unbegrenzter Jahreshöchstleistung würde dies andernfalls zu einem unkalkulierbaren Risiko für den Versicherer führen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob berufliche Tätigkeiten der Versicherungsnehmer, die aufgrund eines Multiplikatoreffektes hinsichtlich der Anzahl der denkbaren Geschädigten ein der Höhe nach besonderes Risiko in sich tragen, nicht besser durch eine Einzelrisikodeckung versichert werden sollten. Dies zumal dann, wenn eine vertragliche Begrenzung der Haftung kaum möglich erscheint. So kann auch die Versicherungssumme der Gesamtanlagesumme im Rahmen der Möglichkeiten angepasst werden. Nach den wirtschaftlichen Interessen erscheint es angemessen, wenn der Initiator die dadurch entstehenden Kosten in sein Projekt einkalkuliert. Dieser beauftragt den Wirtschaftsprüfer im eigenen Interesse oder im Interesse der Adressaten und sollte auch die Gesamtkosten, inklusive der Prämie für eine Einzelrisikodeckung, tragen.
Verjährung
Eine Verschärfung stellt das Urteil schließlich auch in Bezug auf die Verjährung von Schadenersatzansprüchen dar. Für den Beginn der dreijährigen Verjährung sei zwar grundsätzlich die Tatsachen-, nicht die Rechtskenntnis entscheidend. Hier hat der BGH jedoch weder die Kenntnis des Anlegers von dem Prüfbericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft noch den Umstand, dass der Anleger seine gezeichneten Aktien gar nicht erhalten hatte, ausreichen lassen. Liege nämlich bei einem Schadenersatzanspruch der haftungsauslösende Fehler in einer falschen Rechtsanwendung des Schuldners, müsse der Geschädigte für den Beginn der Verjährung Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis davon haben, dass die Rechtsanwendung fehlerhaft gewesen ist. Der BGH bezieht sich damit auf das Urteil des 9. Senats vom 6.2.2014 (AZ: IX ZR 245/12; NJW 2014, 993 ff.; Juris), bei dem ein Rechtsanwalt zur Fortsetzung des Rechtsstreits geraten hat, obwohl das Gericht zutreffend darauf hingewiesen hatte, dass die Ansprüche des Mandanten des Rechtsanwaltes verjährt waren. Der BGH hat die Situation des Mandanten mit derjenigen eines nicht fachkundigen Patienten oder Anlegers verglichen, der seine Belange dem dazu berufenen Fachmann anvertraut und dessen etwaige Fehlleistungen wegen seiner eigenen Rechtsunkenntnis nicht erkennen kann (dort Rn. 15). Die fehlerhafte Rechtsanwendung wird der Anspruchsteller möglicherweise erst nach der Einschaltung eines fachkundigen Beraters erkennen können.
Es bleibt zu hoffen, dass diese strenge Rechtsprechung des BGH zur Dritthaftung bei der Prüfung von Gewinn-prognosen nur für den hier entschiedenen besonderen Einzelfall gilt und nicht auf andere Tätigkeiten der Wirtschaftsprüfer übertragen wird.