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20. Dezember 2019 | Fachzeitschriften

Insolvenzvertiefungsschaden

Im Insolvenzfall wird ein Berater der Schuldnerin damit rechnen müssen, dass der Insolvenzverwalter Schadenersatzansprüche gegen ihn prüft. Zu der Frage, welcher Schaden ersetzt werden muss, wenn die Verantwortlichkeit eines Beraters für eine verspätete Insolvenzantragstellung gegeben sein sollte, hat der BGH bereits im Urteil vom 6. Juni 2013 – IX ZR 204/12, Stellung genommen. Ein solcher Schaden bemisst sich nach der Differenz zwischen der Vermögenslage der Gesellschaft im Zeitpunkt rechtzeitiger Antragstellung im Vergleich zu ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt des tatsächlich gestellten Antrags. Der Anspruchsteller, der gegen den Berater einen Anspruch auf Ersatz des Insolvenzvertiefungsschadens geltend macht, wird somit seinen behaupteten Schaden aus der Fortsetzung der Geschäftstätigkeit durch einen Gesamtvermögensvergleich substanziiert darzulegen haben. In der Praxis ist es nicht ungewöhnlich, dass ein sehr hoher Schaden lediglich pauschal behauptet und durch die Addition einiger ausgewählter Bilanzpositionen vermeintlich plausibilisiert wird. Eine solche Berechnungsweise ist schon im Ansatz nicht geeignet, einen erlittenen Schaden darzulegen.

So hat das OLG Frankfurt am Main mit Urteil vom 4. Oktober 2018 – 16 U 5/18, die Berufung eines Insolvenzverwalters über das Vermögen einer GmbH in einem Verfahren auf Ersatz des Insolvenzvertiefungs- oder Insolvenzverschleppungsschadens mit der Begründung abgewiesen, dass es an einer schlüssigen Darlegung der Höhe des geltend gemachten Schadens fehle. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat der BGH mit Beschluss vom 29. August 2019 – III ZR 242/18, ohne nähere Begründung zurückgewiesen.

Der klagende Insolvenzverwalter behauptete ein umfassendes Mandat der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Beratung in sämtlichen betriebswirtschaftlichen Angelegenheiten. In diesem Rahmen habe der Geschäftsführer der Beklagten mehrfach bestätigt, dass keine Insolvenzreife bestehe. Tatsächlich sei die GmbH spätestens zwei Monate nach der Beauftragung der Beklagten zahlungsunfähig gewesen. Von diesem Zeitpunkt bis zum erst ein Jahr nach der Beauftragung gestellten Insolvenzantrag hätten sich die Verbindlichkeiten in Höhe der Klageforderung von mehr als 800.000 Euro erhöht. Erst später, ca. zwei Monate vor Insolvenzantragstellung der GmbH, hatte die Beklagte einen schriftlichen Hinweis auf die Insolvenzreife erteilt.

Das LG Frankfurt am Main hatte im klageabweisenden Urteil vom 5. Dezember 2017 – 2-17 O 394/15 eine Pflichtverletzung als fernliegend angesehen, diese Frage aber offen gelassen. Es hatte die Klage abgewiesen, da der Kläger die Schadenshöhe nicht schlüssig vorgetragen habe. Es reiche nicht aus, dass der Kläger zwei Bilanzen zum Zeitpunkt des vermeintlichen Eintritts der Insolvenzreife und zum späteren Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung herangezogen und die Erhöhung der Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung als Schaden angenommen habe. Denn dieser Erhöhung stand auch ein Zuwachs an Aktiva gegenüber. Das Umlaufvermögen sei in erheblichem Umfang angewachsen, ohne dass insoweit eine Wertlosigkeit behauptet worden sei. Auch das Eigenkapital habe sich erheblich verbessert, so dass sich ein Schaden aus den beiden Bilanzen nicht entnehmen ließ. Die Fortführung erscheine im Gegenteil sogar vorteilhaft.

Das OLG stützt sich bei der Zurückweisung der Berufung ebenfalls auf das Fehlen einer schlüssigen Darlegung der Schadenshöhe. Zwar könnten anwachsende Verbindlichkeiten auch bei einer bereits überschuldeten, insolvenzreifen und vermögenslosen Schuldnerin einen ersatzfähigen Schaden darstellen, da jede neue Verbindlichkeit die Summe der Passiva erhöhe. Es müssten aber „bei der Schadensfeststellung alle Vermögenszuflüsse und 
-abflüsse geprüft werden, die nach der erkennbaren Insolvenzreife geschehen. Das erfordert einen Gesamtvermögensvergleich, der alle von dem haftungsbegründenden Ereignis betroffenen finanziellen Positionen umfasst. […] Bei dem Gesamtvermögensvergleich geht es nicht um Einzelpositionen, sondern um eine Gegenüberstellung der tatsächlichen Vermögenslage aufgrund der fortgesetzten Handelstätigkeit der Gesellschaft und der hypothetischen Vermögenslage, die sich ohne den Fehler des rechtlichen Beraters ergeben hätte.“

In diesem Fall hätten von dem Anstieg der Verbindlichkeiten die sich aus den zugrundeliegenden Geschäften ergebenden Vorteile abgezogen werden müssen. Dass durch den fortlaufenden Geschäftsbetrieb nach vermeintlichem Eintritt der Insolvenzreife keinerlei positive Geschäftsvorfälle resultierten, behauptete der Kläger nicht. Für solche positiven Entwicklungen spreche auch der Vergleich der Bilanzen in Bezug auf die ansteigenden Aktiva. Dass die Schuldnerin aufgrund ihrer defizitären Lage keine Gewinne aus Wirtschaftstätigkeit mehr erwirtschaftet hätte, erscheint dem OLG durchaus plausibel. Diese Annahme sage aber nichts darüber aus, ob und in welchem Umfang die Schuldnerin noch Einnahmen in dem relevanten Zeitraum erzielte. Auch sei der Kläger nicht der geforderten Aufschlüsselung der einzelnen Positionen nachgekommen, die eine zeitliche Zuordnung erlauben würde. Ohne eine Darlegung der einzelnen Geschäftsvorfälle durch den fortlaufenden Geschäftsbetrieb in dem relevanten Zeitraum und ihre bilanziellen Auswirkungen sei es jedoch nicht möglich, den der Beklagten kausal zurechenbaren Schaden der Höhe nach zu ermitteln.

Vor diesem Hintergrund sah sich das OLG auch nicht in der Lage, einen Mindestschaden nach § 287 ZPO zu schätzen. Eine solche Schätzung wäre unzulässig, weil sie mangels greifbarer, vom Geschädigten vorzutragender Anhaltspunkte völlig „in der Luft hinge“.

Dieses Urteil zeigt einmal mehr, dass die Darlegung eines Vermögensschadens in Form des Gesamtvermögensvergleichs kein einfaches Unterfangen ist. Es reicht nicht aus, einzelne nachteilige Bilanzpositionen herauszupicken. Vielmehr sind auch die positiven Entwicklungen im Zeitraum zwischen dem eigentlich geschuldeten und dem tatsächlich gestellten Insolvenzantrag einzubeziehen.

Heiner Weskamp, Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt), VSW – Die Versicherergemeinschaft für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer

Quelle:
WPK Magazin 4/2019