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Haftung: Wirtschaftsprüfer als Schiedsgutachter
Wirtschaftsprüfer werden zur Vermeidung zeit- und kostenaufwendiger Gerichtsverfahren häufig als Schiedsgutachter mit der außergerichtlichen Streitbeilegung bei Unternehmensbewertungen oder auch mit der Feststellung gesellschaftsrechtlicher Abfindungsguthaben beauftragt. Es handelt sich hierbei um eine Tätigkeit, die nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 WPO zum typischen Berufsbild des Wirtschaftsprüfers gehört. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1Z1.2013 (AZ: III ZR 11112; Juris) hat zwar nicht die schiedsgutachterliche Tätigkeit eines Wirtschaftsprüfers zum Gegenstand, ist aber auf dessen Haftung als Schiedsgutachter übertragbar. Die aktuelle Rechtsprechung gibt daher Anlass, auf die strukturellen Risiken hinzuweisen, die zu einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme als Schiedsgutachter führen könnten.
OFFENBAR UNRICHTIGES SCHIEDSGUTACHTEN
Voraussetzung für eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Schiedsgutachters ist, dass es sich um ein offenbar unrichtiges und damit entsprechend § 319 BGB unverbindliches Schiedsgutachten handelt. Eine offenbare Unrichtigkeit liegt vor, wenn das Gutachten den Grundsatz von Treu und Glauben unter Missachtung anerkannter fachwissenschaftlicher Grundsätze in grober Weise verletzt und sich seine Unrichtigkeit, wenn auch erst nach eingehender Prüfung, dem Blick eines sachkundigen und unbefangenen Beurteilers sofort aufdrängen muss (BGH a. a. 0.). Dies kann z. B. der Fall sein, wenn die im Rahmen eines Unternehmenskaufvertrages zu bewertenden Preise für Warenbestände in erheblichem Ausmaß von den tatsächlichen Marktpreisen abweichen und dies für einen sachverständigen Beobachter zumindest nach eingehender Prüfung offenkundig war (vgl. BGH a. a. 0.).
QUANTITATIVE FEHLEINSCHÄTZUNG
Bei quantitativen Fehleinschätzungen ist eine offensichtliche Unrichtigkeit aber erst dann anzunehmen, wenn sie ein gewisses Maß überschreitet. Die Rechtsprechung sieht Fehlschätzungen unterhalb einer Toleranzgrenze von 20 % bis 25 % als unerheblich an. Dies wird damit begründet, dass an das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit strenge Anforderungen zu stellen sind, da andernfalls der mit der Bestellung eines Schiedsgutachtens verfolgte Zweck infrage gestellt würde, ein möglicherweise langwieriges und kostspieliges Prozessverfahren zu vermeiden. So wird z. B. eine Fehleinschätzung von ca. 10 % bezüglich der Umsatzerlöse im Zusammenhang mit der Gewinnermittlung einer Gesamtpraxis nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben als unerheblich angesehen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 2.10.2002, AZ: 17 U 81/02; Juris).
SCHADENSERSATZANSPRÜCHE ALLER PARTEIEN
Der BGH hat im Urteil vom 17.1.2013 seine frühere Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 6.6.1994, AZ: II ZR 100/92) fortgeführt und ausdrücklich klargestellt, dass der Schiedsgutachter allen Parteien der Schiedsgutachtenabrede gegenüber gleichermaßen zur ordnungsgemäßen Erstellung seines Gutachtens verpflichtet ist. Dies gilt auch für den Fall, dass der Schiedsgutachtervertrag nur von einer Kaufvertragspartei abgeschlossen wurde, sofern offengelegt wurde, dass es sich um ein für beide Seiten zu erstattendes Schiedsgutachten handelt und um kein Privatgutachten eines Auftraggebers. Bei einem offenbar unrichtigen Schiedsgutachten können auch den nicht am Schiedsgutachtervertrag beteiligten Partnern der Schiedsgutachtenabrede unmittelbare vertragliche Schadensersatzansprüche zustehen.
Die z. B. durch ein fehlerhaftes Schiedsgutachten aufgrund der Zahlung eines zu hohen Unternehmenskaufpreises geschädigte Käuferseite ist daher wahlweise berechtigt, zunächst Rückzahlungsansprüche gegenüber der Verkäuferseite geltend zu machen oder aber direkt den Schiedsgutachter auf Leistung von Schadensersatz in Anspruch zu nehmen.
Der privatrechtlich beauftragte Schiedsgutachter haftet also nicht subsidiär wie z. B. ein Notar im Rahmen der Amtshaftung nach § 839 Abs. 2 BGB und kann den Geschädigten nicht darauf verweisen, zunächst Ansprüche gegenüber dem Vertragspartner geltend zu machen.
Zur Verdeutlichung verweist der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes im Urteil vom 17.1.2013 auf ein Urteil des VII. Zivilsenats vom 22.12.2011 (AZ: VII ZR 136/11). Die Haftung eines Schiedsgutachters sei mit der Konstellation vergleichbar, wonach der durch den Fehler eines Tierarztes bei der Ankaufsuntersuchung eines Pferdes geschädigte Käufer nicht verpflichtet sei, zur Beseitigung oder Minderung seines Schadens zunächst seine Ansprüche gegen den Verkäufer geltend zu machen. Dies folge unmittelbar aus der Regelung des§ 255 BGB. Der Geschädigte habe aber keinen Anspruch auf doppelten Ausgleich eines Vermögensschadens, sondern entweder einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Schiedsgutachter oder einen Ersatz- oder Rückforderungsanspruch im Wege der Vertragsanpassung gegenüber dem eigentlichen Vertragspartner.
FOLGERISIKEN
Im Fall eines offenbar unrichtigen Schiedsgutachtens ergeben sich weitere potenzielle Risiken für den Schiedsgutachter hinsichtlich der Rückzahlung des Vergütungsanspruchs an den Auftraggeber und der Haftung für etwaige Folgekosten.
Zu diesen Folgekosten können z. B. die Prozesskosten eines Rechtsstreits unter den Kaufvertragsparteien oder die Kosten eines Zweitgutachters zählen.
FAZIT
Das BGH-Urteil vom 17.1.2013 hat für Schiedsgutachter erhebliche praktische Auswirkungen, da diese bei einem offenbar unrichtigen Schiedsgutachten direkt von der geschädigten Partei in Anspruch genommen werden können. Aufgrund der Haftungsrisiken sollte bei der Formulierung des Schiedsgutachtervertrages nach anwaltlicher Beratung versucht werden, durch eine individualvertragliche Vereinbarung eine Haftungsbegrenzung für fahrlässiges Verhalten nach § 54 a Abs. 1 Nr. 1 WPO zu vereinbaren.