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Gesamtvermögensvergleich beim Gewerbesteuerschaden
Haftpflichtklagen können in vielen Fällen erfolgreich abgewehrt werden, weil aufseiten der Anspruchsteller und deren anwaltlichen Vertreter die durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes manifestierten Grundsätze des sogenannten Gesamtvermögensvergleichs bei der Berechnung der Steuerschäden nicht beachtet werden. Die Zivilgerichte müssen sich daher häufig mit von vornherein aussichtslosen Regressklagen befassen, in denen womöglich Beratungsfehler vorliegen, aber keine objektiven Vermögensnachteile bei den vermeintlich geschädigten Mandanten festgestellt werden können. Anhand eines steuerlich einfach gelagerten Sachverhalts werden daher die folgenden grundsätzlichen Überlegungen unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung exemplarisch dargestellt.
Sachverhalt
Die Klägerin ist Alleinerbin ihres Ehemannes, der mehrere Personengesellschaften zur Personenbeförderung gegründet hatte, denen er gegen Zahlung einer Lizenzgebühr Markenrechte zur Nutzung überlassen hatte. Anfang 2004 gründete dieser zusätzlich eine Holdinggesellschaft (Holding), in die er seine Beteiligungen an den Gesellschaften einbrachte. Der Erblasser war zu 100 % am wirtschaftlichen Ergebnis der Holding beteiligt. Ab Mitte 2004 lizenzierte der Erblasser seine Markenrechte nicht mehr unmittelbar an die operativ tätigen Tochtergesellschaften, sondern an die Holdinggesellschaft, die ihrerseits Unterlizenzen an die Tochtergesellschaften vergab.
Die beklagte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft war mit der steuerlichen Beratung des Erblassers beauftragt und rechnete bei der Erstellung der Gewerbesteuererklärungen ab 2004 die Einnahmen des Erblassers aus der Lizenzierung der Markenrechte durch die Holding dem Einzelunternehmen des Erblassers zu. Damit waren diese Einnahmen erklärungsgemäß Teil des Gewerbeertrags, mit der Folge, dass der Erblasser darauf Gewerbesteuer zu zahlen hatte.
Betriebsprüfungen
Die bei dem Einzelunternehmen des Erblassers und dessen Tochtergesellschaften für die Jahre 2009 bis 2012 durchgeführten Betriebsprüfungen gelangten zu dem Ergebnis, dass der Erblasser bezogen auf die Lizenzeinnahmen nicht gewerbesteuerpflichtig ist. Die Beteiligung des Erblassers an der Holding gehöre nicht zum Betriebsvermögen seines Einzelunternehmens, sondern werde im Privatvermögen gehalten.
Gesamtvermögensvergleich
Die Klägerin wirft der Beklagten vor, dies bei Erstellung der Gewerbesteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2004 bis 2008 nicht berücksichtigt zu haben. Dem Erblasser sei daher eine steuerliche Belastung in Höhe eines sechsstelligen Betrags entstanden, da die Steuerbescheide für den Zeitraum vor dem Jahr 2009 bestandskräftig sind.
Das LG Wuppertal hat die Klage mit Urteil vom 9. September 2020 – 3 O 431/16, abgewiesen, da die Klägerin einen Steuerschaden nicht schlüssig dargelegt habe. Die Herleitung eines Gesamtvermögensvergleichs wird dort instruktiv zusammengefasst:
„Die Berechnung des Schadens, für den mit der anhängigen Klage Ersatz begehrt wird, hat im Rahmen eines umfassenden Gesamtvermögensvergleichs zu erfolgen. Dieser erfordert, dass die tatsächliche Vermögenslage derjenigen Vermögenslage gegenübergestellt wird, die sich hypothetisch bei pflichtgemäßer Beratung durch die Beklagte ergeben hätte (BGH, Urt. v. 08.09.2016, Az.: IX ZR 255/13). Erforderlich ist ein Gesamtvermögensvergleich, der alle von dem haftungsbegründenden Ereignis betroffenen finanziellen Positionen umfasst (BGH, Urt. v. 20.01.2005, Az.: IX ZR 416/00). Dieser erfordert hierbei nicht lediglich eine Berücksichtigung von Einzelpositionen, sondern eine Gegenüberstellung der hypothetischen und der tatsächlichen Vermögenslage (BGH, Urt. v. 07.02.2008, Az.: IX ZR 149/04). Der Auftraggeber genügt seiner Obliegenheit zur Darlegung eines Schadens deshalb nicht bereits dadurch, dass er einen einzelnen ihm entstandenen Vermögensnachteil herausgreift und hieraus seinen Schaden ableitet; er hat vielmehr in die von ihm vorzunehmende Vergleichsrechnung alle – auch ihm günstige – Umstände einzustellen, die auf der Pflichtverletzung des Beraters beruhen (BGH NJW 1998, 982, 983; OLG Köln OLGR 1999, 265, 267; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.11.2002, Az.: 23 U 259/01). Grundsätzlich ist Bezugspunkt des Gesamtvermögensvergleichs das Vermögen des Geschädigten, nicht aber dasjenige Dritter (BGH, Urt. v. 05.02.2015, Az.: IX ZR 167/13). Daher kann auf Grund eines Vertrags nur derjenige Schadensersatz verlangen, bei dem der Schaden tatsächlich eingetreten ist und dem er rechtlich zur Last fällt. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind höchstrichterlich insbesondere im Zusammenhang mit der Übertragung von Vermögenswerten an Familienangehörige oder innerhalb eines Unternehmensverbundes anerkannt. Hierfür ist der konkrete Auftrag entscheidend, den der Mandant dem Berater ausdrücklich oder den Umständen nach erteilt hat. Wenn der Mandant im Rahmen einer Gestaltungsberatung die Berücksichtigung der Interessen eines Dritten zum Gegenstand der Beratungsleistung gemacht hat, ist die Schadensberechnung auch unter Einbeziehung dieser Drittinteressen vorzunehmen (BGH, Urt. v. 08.09.2016, Az.: IX ZR 255/13 m. w. N.).“
Vom Auftrag umfasst
Nach dem Urteil des LG Wuppertal umfasste der Steuerberatungsauftrag der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zwar die Vermögensinteressen des Erblassers als Mitunternehmer der beiden OHG, da die von diesen erzielten Gewinne beim Erblasser einkommensteuerlich zu erfassen waren.
Bei der Schadensberechnung wurde aber unter anderem nicht berücksichtigt, wie sich die Einkommensteuerbelastung beim Erblasser und die gegenüber den beiden OHG festgesetzte Gewerbesteuer steuerlich auswirken.
Pflichtverletzung
Das OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 26. Oktober 2021 – I-23 U 179/20 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Eine Pflichtverletzung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft durch die Hinzurechnung der von der Holding an den Erblasser bezahlten Lizenzzahlungen zum Gewerbeertrag könne nicht in Abrede gestellt werden. Es bestand nämlich insoweit keine Gewerbesteuerpflicht, da die Mitunternehmerbeteiligungen des Erblassers in seinem Privatvermögen gehalten wurden.
Vorteilsanrechnung
Es wurde aber kein ersatzfähiger Schaden festgestellt. Es bestehe zwar ein Nachteil des Erblassers in der gezahlten, aber nach der Rechtslage nicht geschuldeten Gewerbesteuer in Höhe von ca. 85.000 Euro. Hiervon abzuziehen seien aber die Vorteile, die dem Erblasser dadurch entstanden sind, indem er die Gewerbesteuer im Rahmen der Einkommensteuer absetzen konnte (§ 35 EStG). Diese Abzüge wären nicht möglich gewesen, wenn der Erblasser keine Gewerbesteuer gezahlt hätte. Er wäre dann entsprechend höher mit der Einkommensteuer belastet worden. Daraus ergaben sich bei der Einkommensteuer zu berücksichtigende Vorteile aufgrund der Gewerbesteuerzahlung in Höhe von ca. 72.000 Euro.
Hypothetische Gewerbesteuerbelastung
Auch bei korrekter Sachbehandlung wäre die verbleibende Belastung mit Gewerbesteuer in Höhe von ca. 13.000 Euro nicht vollständig vermeidbar gewesen. Die Lizenzzahlungen waren nämlich nicht schlechthin von der Gewerbesteuer befreit, sondern wären als Teil des Gewerbeertrags dann auf einer anderen Ebene der Unternehmensgruppe angefallen, wie dies vom Finanzamt festgestellt wurde. Da der Erblasser an sämtlichen Gesellschaften der Unternehmensgruppe Anteile hielt, wäre er auch bei korrekter Sachbehandlung, also bei Unterbleiben eines Gewerbesteuerbescheids ihm gegenüber mit Gewerbesteuerzahlungen auf die Nutzungsvergütungen belastet worden.
Danach komme es für die Bestimmung des näheren Umfangs der (hypothetischen) Gewerbesteuerbelastung des Erblassers bei richtiger Sachbehandlung darauf an, auf welcher Ebene der Unternehmensgruppe (Holding oder Tochtergesellschaften) die Lizenzzahlungen der Holding an den Erblasser zur Gewerbesteuer heranzuziehen gewesen wären. Dabei ging das OLG Düsseldorf davon aus, dass die Lizenzzahlungen auf der Ebene der Holding aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG zu erfassen gewesen wären. Dies wurde für die nachfolgenden Veranlagungszeiträume ab 2009 ohne Änderungen vom Finanzamt anerkannt. Die Folge ist, dass die Lizenzzahlungen der Holding an den Erblasser zwar nicht bei diesem, wohl aber bei der Holding der Gewerbesteuer unterlegen hätten. Da der Erblasser zu 100 % am Gewinn der Holding beteiligt war, wären in vollem Umfang die Nachteile aus einer bei der Holding festzusetzenden Gewerbesteuer auf die Lizenzzahlungen eingetreten. Dadurch werde die Gewerbesteuer lediglich von dem Erblasser auf die Holding verlagert. Die hierdurch beim Erblasser entstehende Belastung in Höhe von 13.000 Euro hätte der Steuerbelastung auf Ebene der Holding entsprochen.
Demnach ist unter Berücksichtigung des Gesamtvermögensvergleichs kein objektiver Vermögensnachteil eingetreten. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Klägerin hat vorerst ausschließlich fristwahrend Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, deren Begründung noch nicht vorliegt.
Der Fall zeigt, dass eigentlich überflüssige langwierige Haftpflichtprozesse vermieden werden könnten, wenn aufseiten der Anspruchsteller die Grundsätze des Gesamtvermögensvergleichs bei der Schadensberechnung berücksichtigt werden würden.
Martin Kreft, Rechtsanwalt/Justiziar,
VSW – Die Versicherergemeinschaft für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
Quelle: WPK Magazin, 4/2021