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Fälligkeit der Verlustausgleichsansprüche
Kommt es nach einer Beratung und Jahresabschlussprüfung eines Mandanten in der Krise zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, berufen sich Anspruchsteller dabei regelmäßig auf einen unterbliebenen bzw. verspäteten Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit. Sofern der Mandant zu einem Konzern gehört, sind dabei häufig die zwischen Mutter- und Tochterunternehmen bestehenden Verlustausgleichsansprüche streitgegenständlich. Damit hatte sich das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 20. Dezember 2018 – I-10 U 70/18 und im Anschluss der BGH im Rahmen einer abgewiesenen Nichtzulassungsbeschwerde vom 14. November 2019 – IX ZR 263/19 zu befassen.
Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. Die Beklagte ist eine WPG, die den Konzernjahresabschluss der A zum 30. September 2008 und den Einzeljahresabschluss zum gleichen Stichtag geprüft hat sowie mit der prüferischen Durchsicht des Konzernquartalsabschlusses zum 31. Dezember 2008 beauftragt war.
Klage und Klagebegründung
Der Kläger macht Schadensersatz in Höhe von jeweils 4 Mio. Euro gemäß § 323 Abs. 2 HGB für die von der Beklagten angeblich fehlerhaft durchgeführten drei Prüfungen geltend. Die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, den Vorstand und Aufsichtsrat der A auf die seit dem 30. September 2008 bestehende Insolvenzreife der A hinzuweisen und sie habe zu Unrecht jeweils uneingeschränkte Testate erteilt.
Der Kläger begründet die Zahlungsunfähigkeit allein mit der Fälligkeit der Verlustausgleichsansprüche der beiden Tochtergesellschaften der A zum 30. September 2008. Diese sind mit A über einen Gewinnabführungsvertrag verbunden. Er hatte keine vollständige Liquiditätsbilanz erstellt, sondern eine Art „Rumpf-Bilanz“, in die er auf der Passivseite lediglich die Verlustausgleichsansprüche der beiden Tochtergesellschaften gegenüber A eingestellt hat. Diese Forderungen allein würden die liquiden Mittel um deutlich mehr als 10 % zum maßgeblichen Zeitraum übersteigen, was zur Insolvenzreife führen würde. Die Verlustausgleichsansprüche wurden von A nicht erfüllt. Wäre ein entsprechender Hinweis auf die Fälligkeit erteilt worden, hätten der Vorstand und der Aufsichtsrat der A spätestens zum 1. Januar 2009 pflichtgemäß einen Insolvenzantrag gestellt und nicht erst am 9. Juni 2009. Dadurch sei der A ein Schaden im oberen zweistelligen Millionenbetrag entstanden.
Entscheidung
Das OLG sah einen Schadensersatzanspruch unter keinen rechtlichen Gesichtspunkten als gegeben an. Insbesondere verneinte es eine Haftung aus § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB im Hinblick auf die Prüfung des Konzern- und Einzelabschlusses und aus § 37x Abs. 3 Satz 3 WphG (Fassung bis 26. November 2015) in Verbindung mit § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB im Hinblick auf die prüferische Durchsicht des Konzernquartalsabschlusses.
Keine insolvenzrechtliche Fälligkeit
Gemäß § 322 Abs. 2 Satz 3 HGB muss der Prüfer in seinem Bestätigungsvermerk auf die Risiken zum Fortbestand des Unternehmens hinweisen, soweit sich diese aus den ihm überlassenen Unterlagen ergeben. Im Falle einer Insolvenzreife zum 30. September 2008, wie vom Kläger behauptet, hätte sich dieses Risiko bereits verwirklicht und die Beklagte hätte das Testat verweigern müssen.
Das OLG Düsseldorf verneint jedoch, ebenso wie zuvor das LG Düsseldorf, die insolvenzrechtliche Fälligkeit der Verlustausgleichsansprüche zum 30. September 2008. Die insolvenzrechtliche Fälligkeit im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO setzt zwar die Fälligkeit der Forderung nach § 271 BGB voraus, erfordere mithin, dass der Gläubiger diese sofort verlangen kann. Etwaige Einwendungen und Einreden sind daher zu berücksichtigen, jedoch seien nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH an die insolvenzrechtliche Fälligkeit höhere Anforderungen als an diejenige im Sinne des § 271 BGB zu stellen. Begründet wird dies mit der Schwere des Eingriffes, weshalb die Forderung nur dann insolvenzrechtlich fällig sei, wenn das Merkmal des „ernsthaften Einforderns“ erfüllt sei. Dieses Merkmal diene lediglich dem Zweck, solche Forderungen aus einer Überschuldensbilanz/der Berechnung der Überschuldung auszuschließen, die rein tatsächlich – also ohne rechtlichen Bindungswillen oder erkennbare Erklärung – gestundet sind.
Das OLG sieht keine für ein ernsthaftes Einfordern erforderliche Gläubigerhandlung, aus der sich der Wille, Erfüllung zu verlangen, ergibt.
Erfordernis des ernsthaften Einforderns entfällt nicht
Auch läge kein Sachverhalt vor, der diese Anforderung ausnahmsweise entfallen lassen würde. Insbesondere trat das OLG der Auffassung des Klägers entgegen, ein ernsthaftes Einfordern sei entbehrlich, weil es sich bei Verlustausgleichsansprüchen um gesetzliche Ansprüche handele, bei denen die zivilrechtliche Fälligkeit ebenfalls zur insolvenzrechtlichen Fälligkeit führe.
Kein Verzug des Schuldners
Der BGH habe in seiner Entscheidung vom 22. November 2012 – IX ZR 62/10, NZI 2013,129 zwar für solche Forderungen die insolvenzrechtliche Fälligkeit unabhängig von einer Handlung des Gläubigers bejaht, deren Fälligkeit sich nach dem Kalender bestimmen lassen. Die Literatur habe daraus verallgemeinernd abgeleitet, dass insbesondere bei deliktischen Forderungen, also gesetzlichen Ansprüchen, bei denen ohne weitere Gläubigerhandlung Verzug nach § 286 BGB eintrete, für deren insolvenzrechtliche Fälligkeit kein ernsthaftes Einfordern erforderlich sei.
Bei Verlustausgleichsansprüchen sah der Senat die Sache im Sinne der BGH-Rechtsprechung jedoch deshalb anders, weil mit deren Fälligkeit nach § 271 BGB der Schuldner ohne Mahnung nicht gleichzeitig gem. § 266 BGB in Verzug gerate, wohl aber eine Pflicht zur Verzinsung gemäß §§ 352, 353 HBG bestehe.
Geltendmachung der Verlustausgleichsansprüche
Aus dem Umstand, dass der Vorstand der beiden Tochtergesellschaften sich nach der herrschenden Meinung in der Literatur gegebenenfalls schadensersatzpflichtig mache, falls er die Verlustausgleichsansprüche nicht unverzüglich geltend mache, bestehe dennoch kein Anlass, die für das insolvenzrechtliche Verständnis der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO maßgebende tatsächliche Betrachtung im Einzelfall im Hinblick auf den Schutzzweck nichtinsolvenzrechtlicher Normen – hier § 302 AktG – aufzugeben. Die BGH Rechtsprechung schließe bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO selbst solche finanziellen Mittel nicht aus, die der Schuldner sich auf illegale Weise beschafft habe. Das OLG sah hier einen Wertungswiderspruch, wenn ein gegebenenfalls unzulässiges Stehenlassen des Verlustausgleichsanspruches oder eine rechtswidrige Stundung nicht liquiditätswirksam wäre. Das OLG leitet dies daraus ab, dass für die insolvenzrechtliche Forderung die Fälligkeit im Sinne des § 271 BGB nicht alleine ausreiche, sondern das ernsthafte Einfordern hinzukommen müsse. Dadurch sollen solche Forderungen ausgeschlossen werden, die tatsächlich gestundet sind.
Stehenlassen der Forderung war möglich
Die beiden Tochtergesellschaften hatten die Verlustausgleichsansprüche nach der Feststellung des OLG auch tatsächlich stehenlassen. Es sei irrelevant, dass die Beklagte nicht dargelegt habe, wann und wie die Geschäftsführer der Töchter das Stehenlassen bekundet hätten. Das Merkmal des „ernsthaften Einforderns“ schließe solche Forderungen aus, die rein tatsächlich gestundet seien. Es sei nicht erforderlich, dass die Geschäftsführer die Nichtgeltendmachung der Verlustausgleichsansprüche ausdrücklich oder rechtlich bindend hätten bekunden müssen. Entgegenstehender Vortrag der Geschäftsführer in einem gegen diese angestrengten Schadensersatzprozess, wonach diese davon ausgegangen seien, alleine in der Bilanzierung der Forderung sei eine ausdrückliche Geltendmachung zu sehen, sei unbeachtlich, weil es nur auf den Empfängerhorizont der Schuldnerin und nicht auf den inneren Willen der Geschäftsführer ankomme.
Herleitung aus bisheriger Übung
Allerdings hat auch das OLG den Vortrag des Klägers als im Allgemeinen zutreffend bezeichnet, wonach die gesellschaftsrechtliche Verpflichtung zur Geltendmachung der Verlustausgleichsansprüche ein Indiz dafür darstellen könne, dass ein tatsächliches Stehenlassen nicht vorlag. Im vorliegenden Fall stellte das OLG jedoch darauf ab, dass auch in der Vergangenheit die Verlustausgleichsansprüche stehen gelassen und erst im Rahmen des Clearings des Cashpool-Verfahrens ausgeglichen wurden.
Stehenlassen der Forderung nicht erzwungen
Das OLG sah es auch nicht als erwiesen an, dass das tatsächliche Stehenlassen von der Schuldnerin erzwungen worden sei. Das Gericht führt zwar unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH – IX ZR 38/04, BHG ZIP 2008,706 aus, dass dann eine insolvenzrechtlich relevante erzwungene Stundung vorliegen könne, falls trotz Geltendmachung eine klageweise Durchsetzung deshalb unterbliebe, weil der Gläubiger davon ausgehe, diese mangels Solvenz des Schuldners nicht durchsetzen zu können. Diese Rechtsprechung sei jedoch auf den zu entscheidenden Fall nicht anwendbar, denn die beiden Gläubiger hätten die Forderung nie eingefordert und die Befriedigung dann zurückgestellt.
Zahlungen nicht eingestellt
Die Schuldnerin habe auch nicht ihre Zahlungen eingestellt, was gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO eine widerlegliche Vermutung für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und damit der Insolvenzreife begründen würde. Zahlungseinstellung liege nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn für etwaige Gläubiger nach außen erkennbar sei, dass der Schuldner zur Erfüllung seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht in der Lage ist. Unterstelle man, die Schuldnerin sei im Hinblick auf einen erheblichen Teil ihrer Zahlungsverpflichtungen dazu nicht in der Lage gewesen, so fehle es im Hinblick auf die Verlustausgleichsansprüche aufgrund der langjährigen Übung, diese erst im Clearingverfahren des Cashpool-Verfahrens geltend zu machen, daran, dass die Zahlungseinstellung durch die Schuldnerin veranlasst wurde. Auch fehle es an entsprechendem klägerischem Vortrag dazu, dass es seit Juli 2008 an mehreren Stichtagen zu Liquiditätsunterdeckungen gekommen sei.
Das OLG Düsseldorf verneinte nach alledem die insolvenzrechtliche Fälligkeit der Verlustausgleichsansprüche im Sinne des § 17 InsO und sah eine Verletzung der Prüfungspflicht der Beklagten als nicht gegeben an.
Die Beratung und Jahresabschlussprüfung eines Mandanten in der Krise ist mit einem hohen Risiko behaftet, einer Klage auf Schadensersatz in beträchtlicher Höhe ausgesetzt zu werden, was dieser Fall erneut vor Augen führt – auch wenn hier die Klagen erfolgreich abgewendet werden konnten.
Johannes Heinrich Schleihauf, Justiziar
VSW – Die Versicherergemeinschaft für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
Quelle:
WPK Magazin 2/2021