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Das Zeitmoment bei der Beratung
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Berater umfassend zu beraten hat und mögliche Alternativen aufzeigen muss. Auch eher fernliegende Gestaltungsmöglichkeiten müssen in die Überlegungen einbezogen werden. Häufig stellt sich die Problematik bei bevorstehenden Gesetzesänderungen, die rasches Handeln notwendig machen. Gleiches kann sich aus dem Zeitpunkt der Beratung und deren Realisierung ergeben.
Vielfach trägt sich der Mandant seit längerem mit dem Gedanken, Teile seines betrieblichen oder privaten Vermögens auf die Kinder zu übertragen. Der Entschluss wird vielfach erst nach Jahren umgesetzt. Dieses Zeitmoment kann unter haftpflichtrechtlichen Gesichtspunkten relevant werden. Das OLG Stuttgart hat durch zwischenzeitlich rechtskräftiges Urteil vom 14.3.2000 – 12 U 111/99 entschieden, dass der Berater verpflichtet sein kann, darauf zu drängen, Vermögensübertragungen alsbald vorzunehmen und nicht zuzuwarten.
Im entschiedenen Fall beabsichtigte der Mandant, seinem Sohn GmbH-Anteile zu schenken. Auf Anfrage teilte der Berufsangehörige dem Mandanten im Jahre 1995 mit, dass der günstigste Zeitpunkt für die Schenkung von GmbH-Anteilen an den Sohn eigentlich schon verpasst sei. Im Jahre 1997 kam es schließlich zur Übertragung der GmbH-Anteile.
Im Jahre 1995 waren die Verlustjahre vorbei, in den Folgejahren wurden wieder Gewinne erzielt. Die Anteilswerte stiegen von 833 DM je 100 DM Stammkapital auf 2.052 DM. Dem Berufsangehörigen wird vorgeworfen, die zahlenmäßigen Auswirkungen aus der damaligen Betriebsprüfung dem Mandanten nicht hinreichend dargestellt zu haben. Aus der zu spät vorgenommenen Schenkung der GmbH-Anteile resultiere eine vermeidbar hohe Schenkungsteuer.
Die Feststellungsklage war in allen Instanzen erfolgreich.
Das OLG führt aus, der Steuerberater habe im Rahmen seines Auftrages die Pflicht, die Interessen seines Mandanten umfassend wahrzunehmen und dessen steuerliche Belastung so gering wie möglich zu halten. Er habe sich hierbei über den relevanten Sachverhalt durch Befragen des Mandanten umfassend und vollständig zu informieren, ihn auf dieser Basis zu belehren und erschöpfend zu beraten. Hierzu gehöre, dass der Steuerberater auch ungefragt über alle bedeutsamen steuerlichen Entscheidungen und deren Folgen unterrichten müsse. Über mehrere zur Verfügung stehende Gestaltungsmöglichkeiten und deren Vor- und Nachteile habe eine umfassende Aufklärung zu erfolgen. Der Steuerberater habe grundsätzlich den sichersten Weg zu beschreiten.
Die Pflichtwidrigkeit sei in dem Beratungsgespräch vom 20.11.1995 anzusiedeln.
„Bei diesem Anlass wäre es aber geboten gewesen, dem Kläger nochmals eingehend unter Heranziehung des bei der Betriebsprüfung bekannt gewordenen und im Schlussberichts des Finanzamts festgehaltenen Zahlenmaterials die Chancen und Risiken beider Handlungsalternativen im Einzelnen vor Augen zu führen. (…)
Der Steuerberater darf sich nicht damit begnügen, dem Mandanten lediglich pauschal eine Einschätzung der voraussichtlichen Ertragslage der Gesellschaft mitzuteilen und den Mandanten ohne ausreichende Tatsachengrundlage mit der letztlich von ihm selbst zu treffenden wirtschaftlichen Entscheidung allein zu lassen.“
Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass unter Berücksichtigung des Umfangs der Unterrichtungs- und Beratungspflichten des Steuerberaters festzuhalten sei, dass in der konkreten Beratungssituation von den beiden in Frage stehenden Handlungsalternativen nur die Vornahme der Schenkung noch im Jahre 1995 in Betracht gekommen wäre. Damit liege im Ergebnis die Beweislast für die Kausalität einer Pflichtverletzung bei der Beklagten, da nach dem damaligen Kenntnisstand vom 20.11.1995 eine gleichwertige Handlungsalternative dergestalt, mit der Schenkung noch zuzuwarten, nicht ernsthaft in Betracht gekommen sei.
„Es bestand zum einen bei dem Kenntnisstand des Zeugen Dr. H. vom November 1995 eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der gemeine Wert der Gesellschaftsanteile in den Folgejahren noch weiter nach unten entwickeln würde. (…) Er musste deshalb bei einer Gesamtschau insgesamt davon ausgehen, dass trotz nicht ganz ausschließbarer Risiken (…) im Jahr 1995 die endgültige Wende in der Ertragslage der Gesellschaft geschafft war und deshalb mit einer künftigen Erhöhung des gemeinen Wertes der Anteile der GmbH zu rechnen war.“
Das Gericht weist noch darauf hin, dass bei einer Schenkung in 1995 noch die negativen Ergebnisse von Vorjahren bei der Bewertung eingeflossen wären.
Die Beratung im vorliegenden Fall war im Grundsatz nach Auffassung des OLG Stuttgart unzureichend und unvollständig. Der Berufsangehörige hätte sich intensiver mit dem Ergebnis der Betriebsprüfung und den vorliegenden Zahlen befassen müssen. Da nach der Auffassung des Senats die alsbaldige Schenkung nur als einzige Beratungsalternative letztlich im Raum stand, konnte eine Verurteilung nicht verhindert werden.
Mitgeteilt von der Versicherungsstelle Wiesbaden, Versicherergemeinschaft für das wirtschaftliche Prüfungs- und Treuhandwesen.