Kundenmagazin

7. Juni 2013 | Kundenmagazin

75 Jahre Versicherungsstelle für das Wirtschaftliche Prüfungs- und Treuhandwesen (Teil 1: 1931–1960)

Zum 75jährigen Jubiläum im Jahr 2013 blickt die Versicherungsstelle Wiesbaden auf ihre Entstehung und Geschichte zurück. Dieser Beitrag schildert die Entwicklung von der Vorgeschichte über die Gründung der Versicherungsstelle im Jahr 1938 bis zu den frühen Jahren des westdeutschen Wirtschaftswunders.

ENTSTEHUNG EINER NEUEN
HAFTPFLICHTVERSICHERUNG

Der spektakuläre Zusammenbruch der Frankfurter Allgemeinen Versicherungs-AG veranlasste im Jahr 1931 den Gesetzgeber, die obligatorische Bilanzprüfung für Aktien- und Versicherungsgesellschaften einzuführen. Zuständig für die Pflichtprüfungen waren die Angehörigen des neu geschaffenen Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer. Da sie für mögliche Vermögensschäden hafteten, schloss der ebenfalls neu gegründete Berufsverband der Wirtschaftsprüfer (IDW) mangels entsprechender Alternativen in Deutschland mit Lloyd’s of London eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung ab.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 führte zu Konflikten zwischen dem nationalsozialistischen Juristenbund (NSRB) und dem IDW. Der Juristenbund wollte die Berufsangehörigen in seiner Organisation zentralisieren und schloss zur Jahreswende 1933/1934 mit Lloyd’s einen Vertrag ab, der auch Bücherrevisoren, Steuerberatern und sonstigen Wirtschaftstreuhändern offenstand. Das IDW durfte keine Neuabschlüsse mehr tätigen. Gleichzeitig verlangte der dramatische Devisenmangel im Deutschen Reich 1934 eine inländische Lösung. Nun waren auch deutsche Versicherer bereit, mit Wirtschaftsprüfern eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen: In der 1935 gegründeten „Haftpflicht -Versicherungsgemeinschaft für Wirtschaftstreuhänder“ arbeiteten 18 Versicherer mit dem IDW zusammen. Als sich diese Gemeinschaft Anfang 1936 auflöste, stieg der NSRB erneut in die Versicherung ein. Er initiierte den „Wirtschaftstreuhänder-Pool 1936“. Alle Neuabschlüsse wurden nun über den NSRB geleitet. Er vertrat auch die Berufsangehörigen in der Poolkommission.

GRÜNDUNG DER „VERSICHERUNGSSTELLE FÜR
WIRTSCHAFTSTREUHÄNDER“

1937 verpflichtete das Reichswirtschaftsministerium neu zugelassene Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften erstmals zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung. 1940 wurde die Versicherungspflicht auf vereidigte Bücherrevisoren und 1941 auf alle Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ausgeweitet. Die Mindestversicherungssumme betrug 100.000 Reichsmark, für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit mehr als sechs Wirtschaftsprüfern 300.000 Reichsmark.

Durch ministeriellen Erlass vom 15.7.1938 entstand die „Versicherungsstelle für Wirtschaftstreuhänder“. Der NSRB war damit nicht mehr in die Versicherungsabwicklung eingebunden, die Versicherungsstelle diente als „neutrale Stelle“ zwischen Versicherern und Versicherten und war für alle Berufshaftpflichtfragen zuständig. Ihr zentraler Arbeitsausschuss war paritätisch mit Vertretern des Berufsstandes und der Versicherergemeinschaft besetzt und beriet über alle wichtigen Themen. Die Versicherungsstelle übernahm den gesamten Geschäftsverkehr mit den Versicherten von der Antragsannahme bis zur Schadensbearbeitung. Ihr Büro eröffnete sie im Geschäftssitz der Nordstern in Berlin-Schöneberg.

Das IDW überwachte die Einhaltung der Versicherungspflicht. 11 Versicherungsgesellschaften beteiligten sich an der Gemeinschaft unter Führung der Nordstern.

DIE VERSICHERUNGSSTELLE WIESBADEN
IN DEN ANFANGSJAHREN DER BUNDESREPUBLIK
DEUTSCHLAND

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges übernahmen die Siegermächte die Regierungsgewalt und teilten Deutschland in vier Zonen. Die sowjetische Militäradministration verstaatlichte das Versicherungswesen; viele Versicherer und Wirtschaftsprüfer zogen nach Westdeutschland – auch die Versicherungsstelle.

Dr. Franz Leyers von der Nordstern ergriff die Initiative zum Neuaufbau der Versicherungsstelle. Im Herbst 1949 errichtete sie ihre Zentrale in Wiesbaden und die sie tragende Versicherergemeinschaft konstituierte sich auf neuer Basis. Die zeitgleich neu errichtete Dr. Franz Leyers KG bearbeitete für die Gemeinschaft die Versicherungsverträge und fertigte Policen unter dem Namen „Versicherungsstelle für das wirtschaftliche Prüfungs- und Treuhandwesen“ aus. Delegierte der Versicherer und der Wirtschaftsprüfer bildeten einen Arbeitsausschuss, der in den folgenden Jahren um Vertreter der vereidigten Buchprüfer und Steuerberater erweitert wurde. Der Charakter der Versicherungsstelle als eine von Versicherern und Versicherten gemeinsam geschaffenen neutralen Mittlerstelle
blieb erhalten.

Als Dr. Franz Leyers 1960 in Ruhestand ging, bekräftigten die Versicherer und das IDW sowie die Berufsverbände der vereidigten Buchprüfer und der Steuerberater ihre Zusammenarbeit. Die Versicherer wollten auch künftig die Vermögensschaden- Haftpflichtversicherung für Berufsangehörige des Prüfungs- und Treuhandwesens gemeinsam mit den Berufsvertretern betreiben.